Ein unersch�tterlicher Vision�r
Zum Tod von David Koloane

�ber f�nf Dekaden lang fokussierte sich David Koloane auf ein Thema – das Leben in seiner Heimatstadt Johannesburg. Auf expressiven Gem�lden und Zeichnungen dokumentierte er die Energie, aber auch die Schattenseiten der s�dafrikanischen Metropole, die ihn und seine Kunst pr�gte. Nun ist er mit 81 Jahren in seinem Haus in Johannesburg gestorben. Seine erste institutionelle Retrospektive in S�dafrika, die gerade in der Iziko South African National Gallery zu sehen ist, zeigt das Verm�chtnis des gro�en Malers, der auch in der Sammlung Deutsche Bank vertreten ist. Achim Drucks �ber einen K�nstler, der trotz aller Widerst�nde konsequent seinen Weg gegangen ist.
A Resilient Visionary. Poetic Expressions of David Koloane – so betitelt die Iziko South African National Gallery in Kapstadt ihre aktuelle Ausstellung. Es gibt wohl kaum einen passenderen Titel f�r die Retrospektive des gerade verstorbenen Malers. Als Resilienz wird in der Psychologie die F�higkeit bezeichnet, Krisen zu bew�ltigen und sie sogar als Ansto� zur Weiterentwicklung zu nutzen. Seine Resilienz hat es Koloane erm�glicht, sich im von der Apartheid dominierten S�dafrika als K�nstler durchzusetzen – in einem zutiefst rassistischen Staat, der Schwarzen tagt�glich vermittelte, Menschen zweiter Klasse zu sein. Einfache Arbeiter, Dienstboten, das waren die „Karrieren“, die dieses System f�r sie vorgesehen hatte.
 
„Als ich aufwuchs, glaubte ich, es sei einem Schwarzen nicht erlaubt, K�nstler zu werden, denn in unserer Community kannte ich, bis auf Musiker, ganz einfach keinen farbigen K�nstler“, erinnerte sich David Nthubu Koloane, der 1938 in Alexandra geboren wurde, in einem Interview. In diesem armen, elf Kilometer vom Zentrum von Johannesburg entfernten Township verbrachte er seine Jugend. Alexandra wurde damals „Dark City“ genannt – nicht nur wegen der massiven Bandenkriminalit�t. Es gab schlichtweg keine Laternen, die nachts die ungepflasterten Stra�en beleuchten. Auch das gerade einmal aus zwei Zimmern bestehende Haus, in dem David mit seinen Eltern, drei j�ngeren Geschwistern und einer wechselnden Anzahl von Cousins wohnte, verf�gte �ber keine Elektrizit�t. Seine Hausaufgaben musste er abends bei Kerzenlicht erledigen. Als er das erste Mal in einem Viertel mit Stra�enbeleuchtung war, kam er sich vor wie in einem Wunderland – ein Eindruck, den Koloane nie vergessen sollte.

Die Dunkelheit seiner Kindheit, aber auch die Lichter der Stadt und die damit verbundenen Tr�ume von einem besseren Leben pr�gten seine Kunst bis zuletzt. Mit nerv�s vibrierenden Linien erz�hlen seine Bilder vom Alltag in Johannesburg. „The Elusive City“, die fl�chtige Stadt – so hat der Postkolonialismus-Theoretiker Achille Mbembe diese von Umbr�chen, Gegens�tzen und sozialen Spannungen gekennzeichnete Metropole genannt. „Jozi“ ist jung, multikulturell und jeden Tag str�men neue Menschen aus der Provinz hierher, um ihr Gl�ck zu machen.

Koloanes Johannesburg-Bilder sind bev�lkert von vorbeihastenden Passanten, den Wartenden an den Haltestellen der Sammeltaxis, Jazzmusikern, Fu�ballspielern und Prostituierten. Es sind anonyme, oft isoliert wirkende Ordinary People, so der Titel einer Serie von Malereien auf Papier, aus der auch seine Arbeiten in der Sammlung Deutsche Bank stammen. Andere wiederkehrende Motive sind in den Himmel ragende Hochh�user, von Neonreklamen erleuchtete n�chtliche Stra�en. In vielen seiner Bilder, f�r die er vor allem Acrylfarbe, �lkreide und Graphit verwendete, dominieren Schwarz, Grau und Erdt�ne. Andere erstrahlen in flirrenden Gelb-Orange-T�nen. Und manchmal lie� er diese Farbwelten in einer Arbeit aufeinanderprallen. Die Schau in der Iziko Gallery zeigt, wie er seine Motive immer wieder variierte und weiterentwickelte – und wie gekonnt er sich dabei zwischen Figuration und Abstraktion zu bewegen verstand.

Bereits als Kind war David ein begeisterter Zeichner, kopierte Bilder aus Magazinen oder Filmen, die er auch schon mal bei Mitsch�lern gegen S��igkeiten eintauschte. Als die Familie Ende der 1950er nach Soweto umzog, lernte er an der High School Louis Maqhubela kennen. Der war bereits mit der lokalen Kunstszene vernetzt und hatte Kurse am Polly Street Art Centre belegt, aus dem eine ganze Generation schwarzer K�nstler hervorging. Gemeinsam mit Maqhubela betrat Koloane das erste Mal eine Galerie, in der Arbeiten von schwarzen und wei�en K�nstlern nebeneinander hingen – ein Raum, in dem die Rassentrennung �berwunden zu sein schien. Sein Schulfreund machte ihn mit den unterschiedlichen Kunstrichtungen bekannt, aber auch mit k�nstlerischen Techniken und Materialien. Doch seiner Passion f�r das Zeichnen konnte Koloane sich nur in der knapp bemessenen Freizeit widmen. Als sein Vater starb, musste er als �ltester Sohn jahrelang in unterschiedlichen Jobs arbeiten, um seine Familie durchzubringen.

Bevor Maqhubela 1973 nach Europa �bersiedelte, um freier arbeiten zu k�nnen, stellte er Koloane Bill Ainslie vor, einen engagierten F�rderer junger K�nstler. Der vom Abstrakten Expressionismus beeinflusste Maler und Aktivist wurde zum Mentor und Freund. Ainslies Atelier war damals der einzige Ort im Land, an dem Schwarze und Wei�e gemeinsam studierten, obwohl dies gesetzlich verboten war. Koloane war bereits Mitte Drei�ig, als er hier das erste Mal wirklich professionellen Unterricht erhielt. Aus den Bill Ainslie Studios ging sp�ter die Johannesburg Art Foundation hervor. Im S�dafrika der 1980er-Jahre war sie ein Freiraum, in dem die Hautfarbe keine Rolle spielte. Von offiziellen Stellen wurde die JAF deswegen misstrauisch be�ugt. Die Geheimpolizei witterte subversive T�tigkeiten, verh�rte sogar einige der Studenten. In der JAF studierten bedeutende K�nstler wie William Kentridge oder Helen Sebidi und hier begann Koloane dann auch selbst zu unterrichten.

Bis zu seinem Tod war Koloane als F�rderer junger K�nstler aktiv, organisierte Workshops, kuratierte Ausstellungen und versuchte, die Infrastruktur der lokalen Kunstszene zu verbessern. Etwa indem er 1977 die erste Galerie f�r schwarze K�nstler in Johannesburg mitbegr�ndete. Wegen der beengten Wohnsituation in den Townships fehlte es dem Nachwuchs oft ganz einfach an Raum zum Arbeiten. Deshalb initiierte Koloane 1991 mit Freunden die Bag Factory, das erste Atelierhaus in S�dafrika. Dass hier K�nstler aller Hautfarben arbeiteten, geh�rte zum Konzept. Noch immer ist das Haus eines der wichtigsten Zentren der Johannesburger Szene. Hier wird auch seit 2010 der David Koloane Award verliehen, der vielversprechenden Talenten die M�glichkeit verschafft, in den Ateliers der Bag Factory zu arbeiten und ihre Arbeiten auf der Joburg Art Fair zu pr�sentieren. Als Linda Givon, die Gr�nderin der Goodman Gallery, die ehemalige Fabrik f�r Leinens�cke zum ersten Mal besuchte, fielen ihr Koloanes Zeichnungen auf. Sie lud ihn ein, seine Arbeiten in ihrer Galerie, einer der renommiertesten des Landes, zu zeigen. Damit begann eine internationale Karriere. Auch Popstar David Bowie begeisterte sich f�r Koloanes expressive Bilder und erwarb Arbeiten aus der Serie Made in South Africa f�r seine Sammlung.

Made in South Africa entstand 1993/94, als die �ra der Apartheid zu Ende ging. Doch vom Optimismus dieses Aufbruchs ist in dieser Arbeit nicht viel zu sp�ren. In den n�chtlichen Township-Ansichten mit ihren in Metallf�ssern lodernden Feuern liegen eher Angst und Unsicherheit in der Luft. Mit zittrigen Linien und sich �berlagernden Schraffuren erzeugen Koloanes Bilder „einen Taumel, der das Auge in permanente Unruhe versetzt“, so der K�nstler Matthias Schamp 2008 �ber Koloane. Oft sind die Motive nicht unmittelbar zu erkennen, etwa die Hunde auf Made in South Africa (Scavengers). Das Bild zeigt zwei der f�r die Townships so charakteristischen Streuner, die sich auf der Suche nach etwas Essbarem �ber den M�ll hermachen. Immer wieder bev�lkern Hunde Koloanes Arbeiten und spielen dabei sehr unterschiedliche Rollen: In seiner ersten Video-Animation The Take Over (2016), die in der Iziko Gallery zu sehen ist, „besetzen“ sie gemeinsam ein Geb�ude. Auf einigen Gem�lden und Zeichnungen spielen sie miteinander. Oft aber k�mpfen sie gegeneinander, mit gl�henden Augen und bedrohlich gefletschten Z�hnen. Diese Tiere wollen nur eines – in einer feindlichen Umgebung �berleben. „Koloanes Ghetto-Hunde“, schreibt die Literaturnobelpreistr�gerin Nadine Gordimer, „sind Ausgesto�ene, so wie die Menschen in den Townships, wo diese Hunde ihr Futter suchen – aber der Unterschied besteht darin, dass diese Hunde frei sind.“

Ein weiteres Motiv, das in der Ausstellung immer wieder auftaucht, ist das Saxophon. Es verweist auf Koloanes Liebe zum Jazz, die er mit vielen s�dafrikanischen K�nstlern teilte, etwa mit Kemang Wa Lehulere, dem „K�nstler des Jahres“ 2017 der Deutschen Bank. Die Improvisation und Spontanit�t des Jazz spiegelt sich in vielen von Koloanes Bildern – in der Fragmentierung der Formen und ihrer Reorganisation auf dem Papier oder der Leinwand, wo sie weiter zu vibrieren, sich weiter zu verwandeln scheinen. Doch Jazz hat in S�dafrika immer auch eine politische Dimension: „Hear the free music of jazz whispering songs of liberation“, schreibt die Dichterin und Malerin V�ronique Tadjo in ihrem Essay f�r die erste Monographie des K�nstlers.

Koloanes gestische Malweise ist unverkennbar von Jackson Pollock beeinflusst, auch er ein gro�er Jazz-Fan. Solche Bez�ge zum Abstrakten Expressionismus wurden ihm von manchen Kritikern allerdings zum Vorwurf gemacht. Es hie�, er w�rde diesen Stil einfach nur kopieren. Doch f�r ihn und die anderen s�dafrikanischen K�nstler, die sich mit der Abstraktion auseinandersetzten, ging es, wie Koloane erkl�rte, nicht darum, einen Stil zu imitieren, sondern „die Moderne als Vokabular zu verwenden“. Als ein Werkzeug, das sie nutzen konnten, um mit den unterschiedlichen M�glichkeiten der Malerei zu experimentieren und in diesem Prozess ihren eigenen Stil zu entwickeln. Was Koloane zweifellos gelungen ist.

Die selbstverst�ndliche Aneignung dieses Vokabulars war auch ein Zeichen der Emanzipation. Von schwarzen K�nstlern wurde lange Zeit erwartet, dass sie sich an der Tradition der „Township Art“ orientieren, diesen formal anspruchslosen, in konventionellem Realismus gehaltenen Sozialstudien. Neben den Landschaften und Tierbildern wie sie beispielsweise Gladys Mgudlandlu in den 1960ern schuf, galt „Township Art“ als „authentische“ Form schwarzer Kunst. Doch diese Einschr�nkung wollte Koloane nie akzeptieren. „Die Apartheid war vor allem eine Politik des Raums“, hat er einmal erkl�rt. „Es ging um die Einschr�nkung des Raums. Kunst zu machen, das bedeutet auch, diesen Raum zur�ckzugewinnen.“ Und sich dabei eben keinem Label zu unterwerfen, keinem Diktat, wie „schwarze Kunst“ auszusehen hat. Deshalb ist jedes seiner Bilder auch ein Symbol der Freiheit und Unabh�ngigkeit.

A Resilient Visionary: Poetic Expressions of David Koloane
bis 1. Juni 2020
Iziko South African National Gallery, Kapstadt