Ein dritter Ort
ruby onyinyechi amanzes hybride Zeichnungen auf der Frieze New York

Ihre Zeichnungen wirken wie weite B�hnenr�ume, in denen eine Art surreales Tanztheater aufgef�hrt wird. Am 3. Mai findet ihre Zeichnungs-Performance „twin“ zusammen mit der K�nstlerin Wura-Natasha Ogunji vor dem Messezelt statt. Die in New York lebende nigerianische K�nstlerin ruby onyinyechi amanze ist bereits seit L�ngerem in der Sammlung Deutsche Bank vertreten. Jetzt zeigt die Deutsche Bank ihre ebenso fantastischen wie minimalistischen Arbeiten, die eine v�llig neue K�rperlichkeit in das Medium Zeichnung bringen, auf der Frieze New York. Ein Gespr�ch �ber kulturelle Identit�t, Architektur, Papier und die Transzendenz im Sport.
twin - a performance by ruby onyinyechi amanze and Wura-Natasha Ogunji



ArtMag: Auf Ihren Zeichnungen tauchen immer wieder bestimmte Figuren auf, etwa die Astronautin oder der Leopardenmann. Wie sind Sie auf diese Figuren gekommen und in welchem Verh�ltnis stehen sie zueinander?

ruby onyinyechi amanze: Die Figuren entstanden zwischen 2012 und 2013, als ich in Nigeria war. Sie haben sich seitdem weiterentwickelt, die Form ist aber zumeist gleich geblieben. Jede Figur hat eine eigene Geschichte �ber ihre Geburt und Herkunft. Das war damals wichtig f�r mich, weil ich in Nigeria die Erfahrung machte, zugleich eine Einheimische und eine Fremde zu sein. Was das Verh�ltnis zwischen den Charakteren angeht, w�rde ich sie als eine Art Kohorte oder eine Schar beschreiben. Es gibt keine deutliche Familienbindung, sie sind nicht romantisch miteinander verbandelt. Aber sie haben alle eine intime Beziehung miteinander. Daraus ergibt sich ein Gef�hl von F�rsorge und Zugeh�rigkeit, das auch in den Zeichnungen zu sp�ren ist.

Woher kommen die surrealen Titel Ihrer Zeichnungen?

Ich schreibe wirklich gerne und die Titel geben mir die M�glichkeit, mit der Sprache zu spielen. Sie kommen mir nie vorher oder w�hrend des Zeichnens in den Sinn, immer erst danach. Ich setze mich hin, schaue mir die Arbeit genau an, und �berlege welche Verbindungen die Motive untereinander haben. Das ist ein eher freier Assoziationsprozess. Manchmal kommen die Titel sofort, manchmal m�ssen sie mehrere Runden drehen und immer wieder umgestellt werden, bis sie wirklich sitzen. Ab und zu ver�ndern sie sich nach einigen Monaten oder sogar Jahren auch v�llig. Sie entstehen flie�end.

Auf Ihren Zeichnungen verwandeln sich K�pfe in abstrakte R�ume, K�rper �ffnen sich wie Architekturen mit Eing�ngen. Woher stammt Ihr Interesse an Architektur?

Architektur hat mich schon immer fasziniert, so sehr, dass ich nach meinem Master in Kunst �berlegt habe, noch einmal zur�ck an die Universit�t zu gehen, um Architektur zu studieren. Besonders reizten mich Grundrisse – zweidimensionale Zeichnungen, die sich in die Realit�t umsetzen und mit Leben erf�llen lassen. Als ich jung war, zogen wir unglaublich oft um. „Zuhause“ war f�r mich etwas, das man einpackt und mitnimmt. Mich begeisterte an der Zeichnung auch, dass ich mir so etwas wie ein Zuhause zeichnen konnte. Und dieses Zuhause war faltbar und zum Mitnehmen.

Zugleich war das auch ein Ausdruck meiner kulturellen und nationalen Hybridit�t, der Weise, wie ich mich mit anderen identifizierte. Ich hatte das Gef�hl, an einen dritten Ort zu geh�ren, einer Art Zwischenraum oder Schnittmenge. Ich liebte die Vorstellung, dass der Begriff des Raumes formbar ist und sich nicht auf Geografie oder von Menschen gezogene Grenzen beschr�nkt. All das pr�gte mein fr�hes Interesse am Zwei- und Dreidimensionalen, an der poetischen, metaphorischen Sprache der Architektur.

Welche R�ume und Orte interessieren Sie?

Ich sammle digitale Bilder von Geb�uden – zumeist von Wohnh�usern der letzten drei�ig oder vierzig Jahre. Au�erdem skizziere ich Orte und Architekturen, die ich auf Reisen sehe, allerdings h�ufig aus der Erinnerung heraus. Ich mache kaum Fotos. Aus diesem Archiv ziehe ich die unterschiedlichsten Bez�ge und arrangiere sie im fiktiven Raum der Zeichnung neu. Was die R�umlichkeit anbelangt, liebe ich offene und minimale Strukturen. Ein Gef�hl von Luftigkeit, sauberen und einfachen Linien – aber nicht auf eine glatte oder sterile Weise. Die Gegenwart von menschlicher W�rme und Unvollkommenheit ist f�r meine Beziehung zu Orten sehr wichtig.

Warum gibt es so viel wei�en Raum auf Ihren Zeichnungen?

Jemand sagte einmal, dass der wei�e Raum auf meinen Zeichnungen wie ein eigener Charakter sei, ganz im Gegensatz zum Gef�hl, da k�nnte etwas fehlen. Ich mochte diese Interpretation, denn sie beschreibt ganz gut, was ich mache. Ich fange mit dem Raum an und �berlege, welche Art von Bewegung oder Tanz ich darin sehe. Das ist nie ein nachtr�glicher Einfall. Das Bild f�hlt sich f�r mich nie leer an, im Gegenteil, ich empfinde es als aufgeladen… Es ist etwas Lebendiges. Auch das Papier ist in seiner Weite wundersch�n f�r mich. Schon die Oberfl�che birgt soviel Potenzial in sich und hat zugleich auch einen eigenen Wert, etwas Ganzes. Ich tendiere zum Minimalismus. Das �berfrachtete, dieses „Immer Mehr“ entspricht nicht meinem �sthetischen Empfinden.

Die Welt, die Sie erschaffen, wirkt mythologisch und zugleich futuristisch. Ihre hybriden Wesen k�nnten afrikanischen Mythen oder einem Genlabor entsprungen sein. Beziehen Sie sich dabei auf den Afrofuturismus oder auf Arbeiten von K�nstlerinnen wie Ellen Gallagher und Wangechi Mutu? Was sind Ihre k�nstlerischen Einfl�sse?

In meinem Werk finden sich Elemente von Mythologien und Volkssagen genauso wie von futuristischen Erz�hlungen, ich interessiere mich f�r beides. Aber ich denke, sie verbinden sich in meinen Arbeiten mit der Gegenwart oder einer gewissen Zeitlosigkeit. Dasselbe gilt auch f�r mein Verh�ltnis zum Afrofuturismus. Das spielt sich ganz im Hier und Jetzt ab. K�nstlerisch haben die Schriften von Marlene Dumas einen ganz tiefen Eindruck hinterlassen. Wenn ich im Studio arbeite, lese ich immer wieder ihr Buch Sweet Nothings. Notes and Texts 1982–2014. Au�erdem sind viele der T�nzer und Choreografen aus der �ra des Judson Dance Theaters, wie Yvonne Rainer und Trisha Brown, sehr wichtig f�r mich. Was die bildenden K�nstler angeht, liebe ich die ungeheure Weite von Toba Khedooris Zeichnungen, die Skulpturen von Richard Serra, die f�r mich wie Zeichnungen sind, und nat�rlich das Schaffen von Cy Twombly. Die Werke von Ellen Gallagher und Wangechi Mutu habe ich in der Graduate School kennengelernt – vor beiden habe ich gro�en Respekt. Besonders Mutu war die erste zeitgen�ssische Referenz f�r mich, dass eine Frau afrikanischer Abstammung es im Kunstbetrieb schaffen kann. Sie wird immer diesen Ehrenplatz behalten – bei mir und sicher bei vielen anderen auch.

Die Figuren auf Ihren Bildern scheinen zu tanzen oder St�cke aufzuf�hren. Es gibt da immer eine Verbindung zur B�hne oder Leinwand. Sie produzieren auch Videos und machen Performances. Wie verbindet sich das mit dem Medium der Zeichnung?

In meinem geheimen Leben bin ich T�nzerin! In meinem wirklichen Leben bin ich L�uferin und Athletin. Die k�rperlichen M�glichkeiten sind erstaunlich und solange ich in diesem K�rper bin, hoffe ich, mich bewegen zu k�nnen und dabei Freude zu empfinden. Ich kann stark sein und Gewichte stemmen, die mein eigenes Gewicht �bertreffen. Ich kann gro�e Schmerzen und Unbehagen ertragen und mich durchk�mpfen. Ich kann meinen K�rper transzendieren und in einen v�llig neuen Bewusstseinszustand kommen. Ich kann anmutig sein, ganz langsam werden und die feinsten Bewegungen und Nuancen erkunden. All das ist wichtig f�r meine Erfahrung, hier auf der Erde zu sein. Es schl�gt sich auch auf meinen Zeichnungen nieder, in der Art und Weise, wie ich die Figuren positioniere. Ich praktiziere Gaga, eine vom Choreografen Ohad Naharin entwickelte Bewegungssprache und Trainingsmethode. Ich schaue mir Tanzauff�hrungen an und lese die Biografien von T�nzern und Choreografen. Ich m�chte das in die Zeichnung bringen, was der Tanz kann. Was die Poesie kann. Die Oberfl�che des Papiers ist nicht flach f�r mich. Sie ist ein Raum, durch den man sich hindurchbewegt, aus dem man hervorkommt, in dem man verschwindet. Zeichnung ist in ihrem Kern letztlich etwas Performatives. Sie ist nichts anderes als der K�rper, der eine Spur in Zeit und Raum hinterl�sst.

Frieze New York
2. – 5. Mai 2019
Randall’s Island Park

twin: performance + drawing
by ruby onyinyechi amanze und Wura-Natasha Ogunji
Freitag, 3. Mai, 12.30 – 16 Uhr
auf der Wiese vor dem Nordeingang der Messe auf Randalls Island