Eske Schlüters
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Eske Schlüters, „Ähnliches und Mögliches – levels of enactment“, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf 2008, exhibition view, photo ©Yun Lee 2008
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Eske Schlüters, After the Rehearsal, 2008, video still
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Eske Schlüters, After the Rehearsal, 2008, video still
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Eske Schlüters, Vanished into thin Air, 2006, video still
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Eske Schlüters, Vanished into thin Air, 2006, video still
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Eske Schlüters, Vanished into thin Air, 2006, video still
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Eske Schlüters, After the Rehearsal, exhibition view Villa Romana, 2009
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Eske Schlüters True to You, 2005, exhibition view Projektraum Gold
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Für Eske Schlüters gibt es zwei Arten, sich einen Film anzusehen: Entweder sie folgt, wie die meisten anderen Kinogänger, dem Sog der filmischen Erzählung. Oder sie "sichtet" an ihrem Rechner Filme nach Material, das sie für ihre Kunst nutzen kann. Dann arbeitet sie wie eine Sammlerin auf der Suche nach scheinbar unspezifischen aber dennoch besonderen Bildern oder Einstellungen, die oft nur wenige Sekunden dauern. "Mich interessieren häufig jene Bildmomente, die nicht ganz eindeutig sind," erklärt die 1970 in Ostfriesland geborene Künstlerin beim Interview in der Villa Romana, wo sie seit Februar als eine von vier Stipendiaten lebt und arbeitet. Meist sind es gerade ephemere Momente, die Schlüters für ihre Film-Arbeit inspirieren: Schatten hinter einem roten Vorhang, das Funkeln von Licht auf einer Wasseroberfläche oder eine typografische Spielerei aus einem Vorspann eines Filmes aus den sechziger Jahren.
Aus dem so gewonnenen Material montiert sie kurze Filme, denen paradoxerweise nichts Eindeutiges anhaftet, obwohl sie auf den ersten Blick von formaler Klarheit und einer gewissen Liebe zum Detail geprägt sind. Die feinen Assoziationsgewebe ermöglichen Reflektionen über komplexe Themen wie Täuschung, Verschwinden, Irrtum oder Zuneigung - ohne dabei allerdings wie theoretische Abhandlungen zu wirken. Schlüters Arbeiten bestechen auch als ästhetisches Erlebnis. So berührt etwa der 2006 entstandene sechsminütige Film Vanished into thin Air auf subtile Weise die existenzielle Erfahrung der Vergänglichkeit. Erfolgreich umgeht er dabei nahe liegende Bildklischees wie etwa welkende Pflanzen, eine niederbrennende Kerze oder bröckelnde Fassaden. Stattdessen nutzt Schlüters eine Reihe kurzer Einstellungen, geflüsterte Worte oder das einfache Trommeln von Regentropfen, um auf einen unheimlichen Umstand aufmerksam zu machen, der die Kunstform des Films in die Nähe des Lebens rücken lässt: Der Film ist - wie die Existenz selbst - auch an die Zeit gebunden. Unabhängig von der Tatsache, dass es in der Filmästhetik unzählige Arten gibt, Zeit zu dehnen oder zu raffen, entspricht ein neunzigminütiger Film tatsächlich der gleichen Zeiteinheit im "realen" Leben.
Als Dokument längst vergangener Momente wohnt den Filmbildern andererseits auch etwas Zeitloses inne - das macht sie so interessant für Schlüters, die mit ihrer Praxis einen Weg gefunden hat, mit dem Material ehrfürchtig und respektlos zugleich umzugehen: "Indem ich Bilder aus einem Film herausnehme und in einen anderen Kontext setze, entsteht nicht nur ein neuer Zusammenhang, eine andere Bedeutung" erklärt sie ihr Vorgehen. "Häufig bekommt man dadurch einen klaren Blick auf die Bilder selbst, die in ihrer ursprünglichen Organisation in der Gesamtheit des Films verschwinden." Das angeeignete Filmmaterial, etwa Szenen aus Filmen wichtiger Regisseure des Autorenkinos, Jean-Luc Godard, Eric Rohmer, David Lynch oder Hal Hartley, wird im Zuge der Re-Montagen nicht nur mit einer neuen Tonspur - Stimmen und Geräuschen oder auch Stille - unterlegt. Auch am Bild selbst werden verschiedene Veränderungen vorgenommen, wenn Schlüters etwa Geschwindigkeit, Farbigkeit oder den Ausschnitt manipuliert. Dass sich beim Betrachten jedoch nie der Eindruck von Beschädigung, sondern von einer behutsamen Neugewichtung der Bilder einstellt, hängt mit der besonderen Sensibilität zusammen, mit der sie die cineastischen Momente neu miteinander verknüpft.
Wenn aufgrund dieser Verfremdung die Bezüge zum Originalfilm bis zur Unkenntlichkeit verwischen, stört das die Künstlerin nicht. Im Gegenteil: Ihre Arbeiten seien schließlich "kein Ratespiel" sagt sie selbstbewusst. "Es gibt ein Erkennen, dass auf Ahnung gründet". Der Art von Vagheit, die den Raum für Assoziation und Denken durch Bilder eröffnet, kann sie mehr abgewinnen. Dass diese Einstellung nichts mit der Verleugnung von Filmgeschichte zu tun haben muss, darauf verwies kürzlich die Filmhistorikerin Christa Blümlinger in ihrem Buch Kino aus zweiter Hand. Sie attestierte ähnlich gelagerten dekonstruktivistischen Aneignungs-Verfahren so genannter "Archivkunstfilme", eben gerade durch die "historische, kritische oder archäologische Distanz" zum Ausgangsmaterial das Nachdenken über die ästhetische Basis des Films zu bewahren.
Dabei bemächtigt sich Schlüters der Sprache des Films und seiner Grammatik unter ganz anderen Vorzeichen als die Avantgarde der sechziger Jahre, als Künstler wie Marcel Broodthaers die Verwendung der Kamera als künstlerisches Werkzeug noch gegen den Betrieb verteidigen mussten. Selbst die Appropriationstechniken der siebziger und achtziger Jahre, für die Künstler wie Jack Goldstein stehen, sind heute im Mainstream der Kunst integriert. Am nächsten ist ihr hier vielleicht noch der Schotte Douglas Gordon, der 1993 Alfred Hitchcock's Psycho auf die Dauer von 24 Stunden dehnte und damit einerseits die ursprüngliche Erzählstruktur des Meisterwerks zerstörte, andererseits das filmische Skelett aus einzelnen Frames umso sichtbarer werden ließ.
Weil die Aneignung und Manipulation fremder filmischer Materialien zur Produktion neuer Kunst längst nicht mehr den Status einer avancierten Kulturtechnik für sich beanspruchen darf, ist die Unterscheidung zwischen kunstvoller Aneignung und seelenloser Zitatkunst wichtig. Auch deswegen liegt Schlüters an der Diskussion dessen, was zu sehen ist - und nicht nur der Frage, wie es produziert wurde. "Mir geht es nicht um "Cut & Paste", sondern um die Organisation des Materials. Das was ich mache, ist ja nicht nur das Auseinandernehmen und Collagieren, sondern zugleich eine Analyse des Bildes, dessen, was gezeigt wird."
Dazu gehört auch, dass Schlüter sich in ihrer Arbeit ganz explizit auf die Diskussionen bezieht, die den Siegeszug der filmbasierten Kunst im Ausstellungswesen seit den sechziger Jahren begleitet haben. Man erinnere sich - mit dem Einzug des Video-Beamers in die Gegenwartskunst stellte die affektgeladene Black Box das Format des nüchternen White Cubes als allein selig machende Umgebung für konzentriert-kontemplativen Kunstgenuss in Frage. Dass sie als bildende Künstlerin mit Film arbeitet, bedeutet für Schlüters aber nicht, dass sie eine unkritische Anhängerin der schwarzen Kästen ist. Anders als andere Künstler, die mit dem Video-Medium arbeiten, ist sie an einem "zerstreuten" Sehen interessiert und sucht auch mit Hilfe der Ausstellungsarchitektur immer wieder nach Momenten, die die Suggestivkraft des bewegten Bildes brechen. Viel angemessener findet sie deshalb eine Art Dämmerlicht, in dem sowohl Filmkunst als auch Raumkonturen sichtbar sind. "Das Black Box-Format halte ich für nicht so toll, weil man sich ausschließlich auf den Film konzentriert. Besser ist es, wenn man auch etwas vom Raum sieht, in dem meine Arbeiten installiert sind." Um gute Sichtbarkeit der Filmbilder bei größtmöglicher Offenheit zu erreichen, ersinnt die Künstlerin gern architektonische Lösungen jenseits der Box. Für ihre Ausstellung im Düsseldorfer Kunstverein etwa ließ sie mehrere podestartige Ebenen und "Sound-Duschen" in einem Raum einrichten, um eine alternative räumliche Gliederung für mehrere Projektionen zu erreichen. Anstatt statisch vor der einzelnen Projektionsfläche zu verharren, hatten die Betrachter nun die Gelegenheit, im Raum umherzuwandern und zwischen den Arbeiten zu wechseln.
Der Umstand, dass Florenz über so gut wie keine Szene für zeitgenössische Kunst verfügt, stellt für Schlüters kein Problem dar. Denn was sie am Aufenthalt in der Villa Romana besonders schätzt, ist die Möglichkeit des konzentrierten Arbeitens. Zu einem neuen Thema hat sie die Stadt, in der täglich tausende Kunsttouristen zur Kopie der berühmten David-Statue von Michelangelo vor dem Palazzo Vecchio pilgern, dessen Original sich seit rund 140 Jahren in der Accademia befindet, auch schon inspiriert. Es sind die Phänomene des Kopierens und Doppelgängertum, die sie interessieren. "Hier gibt es soviel Kunst, die Konzentration auf Gemälde und Gemäldekopien ist eine Möglichkeit, einen Zugang zur kulturellen Fülle dieser Stadt zu finden." Vielleicht ist das nicht die schlechteste Strategie, mit der pittoresken Süßlichkeit der italienischen Touristenmetropole umzugehen. Statt beim Gang durch die Museen, Kirchen und Paläste dem Kunstrausch zu erliegen, hat Schlüters schon in den anderen, analysierenden Modus der Kunstbetrachtung geschaltet und sammelt so Material für neue Arbeiten.
Im Juli ist die Videoinstallation Limite Meanwhile von Eske Schlüters und Axel Gaertner im Berliner Ausstellungsraum Fake or Feint zu sehen.
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